Abstract Text: Die Erforschung der Provenienz und historischen Besitzverhältnisse der eigenen Sammlungen und Bestände gehört zu den Kernaufgaben von Museen, Archiven und Bibliotheken. Dies gilt ganz besonders für Objekte, die während der Zeit des Nationalsozialismus ihren früheren Besitzer*innen – etwa durch Raub, erzwungenen Verkauf oder Unterschlagung – entzogen wurden. Im Rahmen des 2020 begonnenen Projekts „NS-Raubgut unter den antiquarischen Erwerbungen der Herzog August Bibliothek seit 1969“ prüft die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel derzeit einen exemplarischen Teil ihrer Bestände auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Objekte und stellt sich so ihrer Verantwortung als Sammlungsinstitution.
Der Weg von der systematischen Sichtung bis zu einer Bewertung – und schlussendlich einer möglichen Restitution – von antiquarischen Bibliotheksbeständen ist ein langer. Der vorliegende praxisorientierte Vortrag möchte im Sinne eines Erfahrungsberichts Einblick in die ersten Etappen einer solchen Aufgabe, wie etwa die autoptische Prüfung der Bestände, die bibliothekarische Erfassung von Provenienzspuren und erste Fallrecherchen, geben. Der Fokus liegt auf einem höchst heterogenen Bestandsegment der Herzog August Bibliothek mit Drucken des 16. bis frühen 20. Jahrhunderts. Es handelt sich dabei um eine 1969 neu geschaffene Signaturengruppe für antiquarische Erwerbungen aller Art: geschlossen erworbene wissenschaftliche oder bibliophile Sammlungen, Einzelerwerbungen aus dem Auktions- und Antiquariatshandel, Geschenke oder Stiftungen. Die Vielzahl der dort anzutreffenden Provenienzsachverhalte soll einen lebendigen Eindruck von der Alltagsarbeit in einem Projekt zur NS-Raubgutforschung vermitteln.